NEUE KUNST IN ALTEN GÄRTEN

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Christian Sievers
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Memorandum und Memento mori

Um Überwachung und Kontrolle geht es in ebenso subtiler wie spielerischer Manier auch im Werk „Projektion (BND)“ von Christian Sievers aus dem Jahre 2014. Allerdings erschließt sich die Bedeutung der Skulptur für den Betrachter nicht so leicht. Es sei denn, er nähert sich der grauen Scheibe aus rostfreiem Edelstahl im Park des Unterguts aus einer ganz bestimmten Perspektive. Dann nimmt er die per Laser aus der Platte gefrästen Teile urplötzlich in dreidimensionaler Weise als Parabolantenne wahr.

Sie ist Teil einer vom Bundesnachrichtendienst in Schöningen bei Braunschweig betriebenen Anlage zur Überwachung von Satellitensignalen, wo Sievers sie auch fotografiert hat. Was ihre Brisanz ausmacht, von der man erst seit kurzem weiß. Genauer: Seitdem der BND öffentlich zugegeben hat, dass er in Schöningen eine Aufklärungsstation betreibt. Vorher hieß es, dort arbeite das „Bundesamt für Fernmeldestatistik“. Der Künstler, in der Nähe aufgewachsen, ist mit der Situation sehr genau vertraut, weil er sie über Jahre verfolgt hat. Um das Bild der Parabolantenne in die Stahlscheibe schneiden zu können, hat Christian Sievers die Daten ihrer Fotografie im Computer von mehreren Programmen so lange umrechnen lassen, bis sie von einem Laserschneider gelesen und umgesetzt werden konnten.

Das Spiel des Verhüllens und Enthüllens, das der BND jahrelang betrieben hat, wiederholt sich so in kongenialer Weise in der Faktur dieser Skulptur, die sich je nach Standort des Betrachters durch anamorphotische Verzerrung verschließt oder sich ihm in realistischer Weise erschließt.

Eine weitere, im Verhältnis zum technischen Raffinement dieses Werks geradezu archaisch einfache Arbeit mit dem Titel „Projektionen (Körper)“ hat Christian Sievers im Rasen des Unter- und Oberguts geschaffen. Je nach Licht und Wetter ist sie diskret bis zur Unsichtbarkeit. 

Der Künstler hat an mehreren Stellen unter der Rasenoberfläche Folie in Form von menschlichen Figuren verlegt. Sie schirmt die Grassoden von der Feuchtigkeit des Untergrunds ab. Solange genug Regen von oben auf die dünne Rasenschicht fällt, kann sie überleben, und man sieht ihr nichts an. Erst nach einer längeren Trockenperiode stirbt der Rasen punktgenau über den Folien ab, und die liegenden Figuren werden sichtbar.

Die Körpersilhouetten erinnern an Tatortzeichnungen, mit denen die Polizei in einem beinahe spielerischen Gestus die Lage von Opfern eines Unfalls oder Verbrechens im Bild festhält. Wenn die Rasenkörper von Christian Sievers in den blühenden Park den Gedanken an Tod und Endlichkeit tragen, so tun sie das als ein memento mori, das selbst der Vergänglichkeit unterliegt. In der Hitze des Sommers erinnern sie den Besucher eindringlich daran, wie flüchtig das Leben ist und wie wünschenswert, es bis zur Neige zu genießen. 

(Michael Stoeber)


Projektion (BND)
Edelstahl, 2014

Projektionen (Körper)
Folie, 2014



Vita

www.christiansievers.info

1996–2001 Hochschule für bildende Künste,
Braunschweig
2001–2003 MA Sculpture, Royal College of Art, London

1999–2003 Stipendien der Studienstiftung des deutschen
Volkes
2001 Stipendium des Royal College of Art, London
2002 DAAD Stipendium für Großbritannien
bis 2007 Aufenthalt in London
2007, 2008 Arbeitsaufenthalte in Dubai
seit 2011 künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an
der Kunsthochschule für Medien, Köln

Einzelausstellungen und Performances (Auswahl)
2007 Does the Show Need to Go On?
The Trade Apartment, London
2006 On Look But Don’t Touch, Display Gallery, Prag
2008 Freundschaft in der Feuerwehr, Clarke Gallery,
Berlin
2009 den Ausnahmezustand proben, Kunstverein
Wolfenbüttel
2014 Übung, Performance, Bundeskunsthalle Bonn


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